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Der lange Weg zur Normalität


Es ist ein erstes Ende in Sicht. Mit Wirkung des 20. März sollen weitgehend die Beschränkungen fallen, die uns die Pandemie beschert hatte. Ist nun alles vorbei? Ich fürchte nicht. Lange Monate der Auseinandersetzung liegen hinter uns. Was Spuren hinterlassen hat. Und es wird sicher sehr viel Kraft kosten, diese zu tilgen. Da sind Ängste, die sich tief eingegraben haben im Gedächtnis und dem Jetzt der Gesellschaft. Vertrauensbrüche auch. Da sind Risse in Freundschaften und Familien, die geschlossen werden wollen. Und da ist die Frage nach dem Wie. Dem Wie, das sagt, wie wir mit Herausforderungen dieser Art umgehen wollen. Eine große Aufgabe.

Es ist ein Paradoxon, vor dem wir stehen. Denn zum einen kamen wir bisher unbestreitbar besser durch die Pandemie als viele andere. Weil wir es so gemacht haben, wie wir es gemacht haben. Zum anderen haben wir dabei an vielen Punkten Fehler gemacht und partiell sogar versagt. So stehen die Gesundheitsämter nach beinahe zwei Jahren noch immer Fax-bei-Fuß. Ein Impfregister ist nicht einmal Plan und Digitalisierung halten manche in den Tiefen des politischen Raumes noch immer für schlimmstes Teufelszeug. Wir, so scheint es, haben nichts gelernt.

Doch das ist nun auch eine Chance. Wenn wir aus all dem Lehren ziehen und lernen. Ja. Ich sage Wir, denn hier geht es nicht nur um Politik und das, was dort beschieden und auch teils falsch entscheiden wurde. Auch Wir alle haben Fehler gemacht. Was in der Natur der Sache liegt, denn einen Fall wie diesen gab es im erlebten Geschichtskontext nicht. Niemand also war auf etwas derartiges vorbereitet. Hätte man vielleicht sein können. Aber genau das ist, was wir nun gemeinsam herausfinden müssen.

Um besser zu werden. Um gemachte Fehler für die Zukunft auszuschließen. Auch wir Bürger müssen das. Warum fällt es uns so schwer Solidarität und Zusammenhalt im Sinne der Allgemeinheit zu halten? So schwer, dass es leichter und richtiger erscheint, sich den Protestparolen von irgendeinem Jochen aus dem Internet anzuschließen. Würden wir uns im Zweifel von diesem Unbekannten auch operieren lassen, oder wählten wir dann nicht den besten Spezialisten, den wir bekommen können? Nicht? Warum also ist denn dann gerade jetzt die Wissenschaft und deren Köpfe, da sie uns wirklich wertvolle Dienste erwiesen haben, der Feind im eigenen Land? Nein. Ich rede nicht von der Pflicht, Falsches zu hinterfragen, was auch ich stetig getan habe. Ich rede auch nicht von jenen, deren Existenzen durch dies alles über Nacht in Frage gestellt wurden und die zu Recht Gehör und Tat einforderten. Was ja auch – dies gehört zur Wahrheit hinzu – im überwiegenden Teil maßgebliche staatliche Unterstützung, also die der Allgemeinheit, nach sich zog. Und auch hier muss diskutiert werden, was richtig war und was nicht. Keine Frage.

Ich rede von der Verantwortung eines jedes Einzelnen, maßvoll und achtsam mit unseren Werten umzugehen und sich dabei zu hinterfragen. Bei all dem, was jeder von uns in diese Debatte einsteuert.

Tun wir dies nämlich nicht, ist es Gebrüll. Kein legitimer Protest. Zu teilen, was man selber nicht bewerten kann. Weil es das eigene Vorurteil bestätigt, ist keine Wahrheitsfindung. Und nichts, aber auch gar nichts rechtfertigt, dass Teile der Gesellschaft sich gedankenlos mit Kräften verbünden, die nichts anderes im Schilde führen, als unsere freiheitliche, demokratische Grundordnung in ihren Grundfesten zu erschüttern. Nichts rechtfertigt den Ruf gegen eine vermeintliche Diktatur. Inmitten einer der grundlegendsten Debatten über Freiheit, Bedeutung von Grundrechten und die richtige Rolle des Staates, die es nach meiner Erinnerung in diesem Land je gegeben hat! Und schon gar nichts rechtfertigt geschichtsvergessende Aufzüge, die am Tag des Holocaustgedenkens Freiheit-Freiheit-Rufe in die dunkle Stadt brüllen.

Das ist erschütternd falsch. Und erkennbar Falsches widerzukäuen, weil es die eigene Wut lindert, ist keine Meinungsäusserung. Es bleibt falsch. Selbst, wenn man selbst daran glaubt.

Dies alles zeigt, dass wir etwas ändern müssen. Und das es dafür die ganze Gesellschaft braucht und nicht nur den professionellen Politikbetrieb. Wir müssen unsere Werte neu bestimmen und diese verteidigen. Ja, dazu gehört auch demokratischer Protest, der seine Wege hat und einen Ton, der verständlich bleibt. Und der keine Radikalen braucht, die alles niederschreien im Traum, die Oberhand im Land zu sein.

Die Mehrheit hat diese Abwägung getroffen. Still für sich. Das ist beruhigend und beunruhigend zugleich. Denn der stille Bürger ist nicht nur still. Er ist nicht beteiligt. Und fehlt für das, worum wir am meisten ringen müssen: Die Demokratie. Deren Aufgabe es ist, mehrheitliche Entscheidungen zu treffen. Was sie nicht mehr kann, wenn ihr eben diese Mehrheiten fehlen. Wir schweigen uns also friedlich zu Tode. Und dieses Schweigen wird laut aufgefüllt. Von einer Minderheit, die noch mehr scheint, als sie ist. Die aber mehr werden kann, wenn sie nicht merkt, das ihr ein deutliches Mehr entgegen steht.

Und noch etwas ist bedenkenswert. Während wir über Lockdowns, Freigang und Impfung im Disput versinken, gewinnen andere. Denn die wahren Probleme dieser Welt sind in einer immer weiter klaffenden Schere zwischen arm und reich zu sehen. Sind zu beklagen bei Klima und Krieg. In Ausbeutung und schleichendem Nationalismus. Weltweit. Die zehn Reichsten der Erde verdoppelten in der Pandemie gigantische Milliardenvermögen, während hunderte Millionen Menschen ihre Lebensgrundlage verloren haben.

Deshalb aber geht in diesem Land keiner spazieren.

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